Leseprobe 1 aus "Das Alabastergrab", Kapitel: "Ins Land der Franken", Seite 76, ff.

Fidibus stürzte auf den Schreibtisch von Marina Hoffmann zu. »Honeypenny, Sie sind doch eine Frau, Sie kennen sich doch aus?«
Er keuchte panisch.

Honeypenny stöhnte innerlich auf. Hoffentlich wollte ihr Chef jetzt nicht wissen, was ein Tampon war oder so was in der Richtung. Doch die Hoffnung war umsonst.

»Honeypenny, meine Frau ist schwanger!«, stieß er aufgeregt aus. Aber das wusste sie doch längst, was machte er also so einen Aufstand? Mit so einem Typ als Ehemann hätte sie sich schon vor Jahren erschossen. Trotzdem war er immer noch ihr Boss. »Jetzt machen Sie sich mal keine Gedanken, Chef. Ist ja noch 'ne Weile hin bis zur Geburt, das wird schon werden. Lassen Sie Ihre Frau mal machen.«

Großer Gott, hoffentlich wollte er bei der Entbindung nicht dabei sein. Der brachte es noch fertig, im Kreißsaal zu rauchen. Oder er stolperte und warf dabei aus Versehen das Baby aus dem Fenster ... Aber Fidibus hatte ihr nicht zugehört. Vor Nervosität rollte er seine Havanna bereits so fest zwischen seinen Fingern hin und her, dass sie kurz davor war, sich in ihre Bestandteile aufzulösen.

»Ja, aber meine Frau hat mir gerade erzählt...«, er stockte, dann fuhr er mit erstickter Stimme und mit vor Entsetzen geweiteten Augen fort, »Honeypenny, sie hat vor längerer Zeit ohne mein Wissen eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen. An unserem Baby. Ich muss sofort nach Hause!«

Honeypenny konnte es nicht fassen. Männer waren doch alle Versager. Und dieser hier, der vor ihr stand, der war der größte von allen. Ein Wunder, dass er überhaupt eine Frau gefunden hatte, die diese Strafe freiwillig auf sich nahm.

»Chef«, versuchte sie es nochmals und drückte ihn auf ihren Bürostuhl. »Eine Fruchtwasseruntersuchung ist etwas völlig Normales. Das machen viele Frauen heutzutage. Einfach aus Vorsicht. Mittlerweile ist das ein Routineeingriff.«

»Ein Routineeingriff?«, schrie er außer sich und sprang empört auf. »Meine Frau hat gesagt, dass einem dabei eine lebendige Nadel in den Bauch gestoßen wird.« Sein Entsetzen war nun nicht mehr zu übersehen. Seine Hand fuhr zu seiner Anzugjacke, als hätte ihn gerade ein spätgotischer Wurfspeer in die Magengegend getroffen. Die Zigarre ergab sich, zerfiel in dicke Brösel und türmte sich vor seinen makellos schwarz glänzenden Schuhen zu einem kleinen Hügel auf.

Honeypenny schaute ihn stumm an. Von den Nebentischen hörte man das typisch angestrengte Atmen von Menschen, die kurz davor waren, laut loszulachen.

Aber sie gab nicht auf. »Chef, jetzt beruhigen Sie sich doch. Da müssen Sie sich verhört haben. Ihrer Frau geht es gut. Diese Untersuchung ist wirklich nur eine Vorsichtsmaßnahme, ich wiederhole, einevorsichtsmaßnahme, um ... um eventuelle Schädigungen des Erbguts festzustellen. Das ist überhaupt kein Grund ...«, aber weiter kam sie nicht mehr.

Seine Beine knickten unter ihm weg, sodass er sich kurz an ihrem Tisch festhalten musste. »Meine Frau ... im Erbgut geschädigt? Oh, mein Gott. Aber das wollte ich nicht. Wenn ich das alles vorher gewusst hätte, wäre ich nie schwanger geworden. Honeypenny, das ist der schlimmste Tag in meinem diesjährigen Leben. ... Ich, ich muss zu meiner Frau!« Mit dem letzten Satz kehrte schlagartig wieder die Kraft in ihn zurück. Er stürzte in Richtung Ausgang los und rannte mit einem lauten Rumms gegen die Tür zum Treppenhaus, die sich seit einundzwanzig Jahren nach innen öffnete. Erst als er außer Sicht- und Hörweite war, brach im Büro hemmungsloses Gelächter aus. ...

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